Schirm- und Zielarten

Zum Schutz der biologischen Vielfalt gibt es die unterschiedlichsten Instrumente. Eines dieser Instrumente ist die Festlegung von Zielartenkonzepten insbesondere die Fokussierung auf Schirm- und Zielarten.

Die hohe Anzahl gefährdeter Arten macht es unmöglich, die Biodiversität durch Schutzmaßnahmen für einzelne Spezies zu sichern. Infolge werden Schirm- und Zielarten definiert, welche einen „Mitnahme-Effekt“ für zahlreiche weitere Arten generieren. Dieses Konzept kann ebenso in der Planung von Kompensationsmaßnahmen bei vorausgegangenen Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft angewandt werden.

Inhalt

Schirm- und Zielarten

Schirmarten – Beispiel Eifel Nationalpark

Zielarten – Beispiel Emsrenaturierung

Integration von Schirm- und Zielarten in Kompensationsmaßnahmen

Fazit

Schirm- und Zielarten

Schirmarten, auch umbrella species genannt, sind Arten, deren Schutz das Überleben der gesamten Lebensgemeinschaft eines Ökosystems sichert. Da sie hohe Ansprüche an ihren Lebensraum stellen, ist mit ihrer Erhaltung das Überleben zahlreicher weiterer Arten in demselben Lebensraum garantiert. Es entsteht somit ein „Mitnahme-Effekt“.

Durch den Schutz einer Schirmart wird also gleichzeitig die Biodiversität erhalten. Da Schirmarten häufig einen großen Raumanspruch haben, dienen sie dazu, schützenswerte Flächen auszuwählen sowie die minimale Fläche eines Schutzgebietes oder einer Kompensationsmaßnahme zu definieren.

Darüber hinaus stellen Schirmarten besondere Ansprüche an ihren Lebensraum wie bspw. das Vorhandensein bestimmter Ressourcen. Sind die Ansprüche der Schirmart gedeckt, sind gleichzeitig auch die Ansprüche weiterer, in dem Gebiet vorkommender Arten erfüllt.

Ein Beispiel für eine Schirmart ist das Rebhuhn. Es bewohnt kleinstrukturierte, abwechslungsreiche Agrarlandschaften mit unkrautreichen Feldrainen, Altgrasstreifen, Gebüsche und Hecken. Diese abwechslungsreiche Kulturlandschaft bietet auch Feldhamster, Feldhase und Neuntöter ideale Lebensräume, welche vom Schutz des Rebhuhnes profitieren.

Zielarten (management indicator species) sind vorrangig zu schützende Arten, an denen sich die Kompensationsplanung in einem bestimmten Gebiet ausrichtet. Sie dienen im Naturschutz und in der Umweltplanung als „Orientierungshilfe“, da an ihnen Naturschutz- und Umweltplanungsmaßnahmen festgesetzt und deren Wirksamkeit kontrolliert werden können.

Das heißt sie dienen der Formulierung von konkreten und überprüfbaren Zielen und können als Bewertungskriterien für den Zustand eines Gebietes oder einer Lebensgemeinschaft herangezogen werden.

Ausgehend von den Zielarten lassen sich sinnvolle Schutz-, Kompensations- Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen entwickeln sowie deren Erfolg messen. So ist beispielsweise der Kiebitz eine Zielart beim Schutz von Feuchtgrünland. Auch hier wird von einem „Mitnahme-Effekt“ ausgegangen, da die Zielart repräsentativ für weitere Tier- und Pflanzenarten in dem jeweiligen Lebensraum steht. Am Beispiel des Kiebitz vertritt dieser Arten wie Rotschenkel oder Bekassine.

Zielarten müssen verschiedene Kriterien erfüllen. Zum einen müssen sie raumbedeutsam sein, das heißt in dem vorkommenden Gebiet einen Verbreitungsschwerpunkt haben, sich am Rande ihres geschlossenen Verbreitungsgebietes befinden oder Endemiten oder Relikte sein. Daneben soll die Zielart als Indikator für Umweltzustände dienen und repräsentativ für den Lebensraumtyp sein. Zudem sollte sie durch ihre komplexen Habitatansprüche einen „Mitnahme-Effekt“ für weitere Arten generieren. Auch sollte die Art überregional als stark gefährdet eingestuft sein.

Die einzelnen Kriterien fließen je nach Art und Zielstellung einer Umweltplanungsmaßnahme in unterschiedlicher Gewichtung ein. In der Praxis steht zudem häufig nicht eine einzige Zielart im Fokus, sondern es werden Zielartenkollektive definiert, um eine größere Spanne an Lebensräumen abzudecken, sodass mehr Arten profitieren.

Zielarten können auch die Funktion einer Schirmart erfüllen, diese Funktion ist allerdings nicht impliziert.

Schirmarten – Beispiel Eifel Nationalpark

Der Nationalpark Eifel liegt im Südwesten des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen und besteht seit 2004. Charakteristisch für die Natur und die Landschaft im Nationalpark sind die ausgedehnten Buchen- und Eichenwälder, unterbrochen durch halboffene Landschaften. Diese bieten Lebensraum für die größte, zusammenhängende Wildkatzenpopulation Europas.

Die Wildkatze ist ein Einzelgänger. Die Kater besetzen Reviere von 1.500 bis 3.000 ha Größe. Infolge hat die Wildkatze einen sehr hohen Raumanspruch. Zudem stellt sie hohe Ansprüche an ihren Lebensraum: Sie benötigt strukturreiche Laub- und Mischwälder mit Lichtungen und Waldwiesen, zur Jagd Brachen und Grünflächen und ein ausreichendes Angebot an Deckung bietenden Strukturen wie Hecken oder Gebüsche.

Dort, wo die Wildkatze vorkommt, finden auch viele weitere Arten Lebensraum. Zu den profitierenden Arten zählen unter anderem Schwarzstorch, Sumpfspitzmaus und Fledermausarten wie der seltene Kleinabendsegler. Hier generiert der Schutz der Wildkatze einen „Mitnahme-Effekt“ für zahlreiche Waldarten und Bewohner von Offenlandflächen. Diese laufen quasi unter dem „Schutzschirm“ der Wildkatze mit.

Zielarten – Beispielprojekt Emsrenaturierung

Das LIFE-Programm der Europäischen Union (LIFE: L’Instrument Financier pour l’Environnement) dient der Finanzierung von Vorhaben der europäischen Mitgliedsstaaten im Bereich Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. Von 2010 bis 2014 wurde im nordrheinwestfälischen Kreis Warendorf das LIFE-Projekt „Naturnahe Gewässer- und Auenentwicklung der Ems bei Einen – Eigendynamik und Habitatvielfalt“ durchgeführt. Das Projekt hatte zum Ziel, die Eigendynamik und die Durchgängigkeit der Ems durch Gewässerrenaturierungen wiederherzustellen, die Habitatvielfalt zu fördern, Auenwälder und Extensiv-Grünland zu entwickeln sowie die Naherholung zu lenken und Informations- und Wissenstransfer zu ermöglichen.

Im Zuge der Projektentwicklung wurden Zielarten definiert. Zu diesen zählen: Bitterling, Bachneunauge, Steinbeißer, Nachtigall, Kiebitz, Eisvogel, Uferschwalbe, Pirol und Zauneidechse. Zur Förderung der Arten wurden 25 einmalige bauliche Maßnahmen durchgeführt. Diese orientierten sich an den Habitatansprüchen der Zielarten.

Beispielhaft wurden durch die Anlage von Steilufern Brutmöglichkeiten für den Eisvogel sowie die Uferschwalbe geschaffen. Von diesen profitierten ebenfalls Insektenarten wie die Furchenbiene oder die Sandbiene.

Zur Förderung der Auenarten Bitterling und Steinbeißer wurde ein Initialgerinne zur Dynamisierung und Laufverlängerung der Ems angelegt. Durch die Veränderung des Flusslaufes entstand eine Weichholzaue, welche wiederum Arten wie Zilpzalp und Sumpfrohrsänger Lebensraum bietet.

Zudem entstanden Flachwasserbereiche, von denen Arten wie der Flussuferläufer, welcher in den neu entstandenen Flachwasserbereichen auf Nahrungssuche gehen kann, profitieren. Des Weiteren kam es zur Anlage eines Altarmes. Von diesem profitieren neben einigen der oben genannten Zielarten auch viele Amphibienarten.

Neben den baulichen Maßnahmen wurden ebenfalls sukzessionsabhängige, wiederkehrende Erhaltungs- und Naturschutzmaßnahmen festgelegt. Zu diesen gehört die Entwicklung eines Hartholzauen- sowie Weichholzauenwaldes als Lebensraum für Nachtigall und Pirol sowie die Entwicklung von Extensiv-Grünland zur Förderung des Kiebitzes.

Von der Anlage der Aue profitieren weitere Arten wie Grünspecht und Grauschnäpper. Die extensive Bewirtschaftung des Feuchtgrünlandes fördert das Vorkommen von zahlreichen Insekten- sowie Pflanzenarten wie der Sumpfschrecke, welche aufgrund der intensiven Grünlandnutzung selten geworden sind.

Integration von Schirm- und Zielarten in Kompensationsmaßnahmen

Die Eingriffsregelung hat nach § 13 ff. Bundesnaturschutzgesetz zum Ziel, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes auch außerhalb der besonderen Schutzgebiete zu erhalten. Eingriffe in Natur- und Landschaft sind nach der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung vorrangig zu vermeiden. Ist dies nicht möglich, sind landespflegerische Maßnahmen in Form von Kompensationsmaßnahmen durchzuführen.

Mehr über die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung finden Sie hier.

Zur Ermittlung der Kompensationsmaßnahmen bedarf es anfangs ein gründliches Monitoring im entsprechenden Plangebiet. Hierzu zählt die Erfassung vorkommender Tier- und Pflanzenarten, der Biotoptypen sowie der Schutzgüter Boden, Wasser, Klima und Luft und Landschaftsbild. Dem folgt die Ermittlung der Beeinträchtigung eben dieser Schutzgüter. Werden erhebliche Beeinträchtigungen festgestellt, gilt es vorrangig, diese zu vermeiden. Sollte eine Vermeidung nicht möglich sein, müssen Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen entwickelt werden.

Zur nachvollziehbaren Erarbeitung von Kompensationsmaßnahmen bedarf es klarer Zielsetzungen. Hier kann für die Festsetzung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für das Schutzgut Tiere und Pflanzen das Instrument der Schirm- und Zielarten angewendet werden.

Die Auswahl der Zielarten erfolgt dabei nach der Bestandsaufnahme und orientiert sich an folgenden Fragen: Welche schützenswerten Arten sind betroffen? Sind diese geeignet den Lebensraum und die weiteren, in diesem Lebensraum vorkommenden Arten und deren Ansprüche so zu repräsentieren, dass Maßnahmen zum Schutz der Zielart auch einen „Mitnahme-Effekt“ für diese Arten erwirken?

Erfüllt eine Art diese Kriterien, kann sie zur Zielart einer Kompensationsmaßnahme erklärt werden. Als Beispiel kann der Ausbau der A3 bei Köln genannt werden, in dessen Zuge das Camp Altenrath, ein ehemaliges belgisches Militärgelände, in der Wahner Heide südöstlich von Köln als Kompensationsfläche ausgewählt wurde. Als Zielart wurde die Heidelerche definiert. Sie besiedelt Flächen mit magerer Vegetation und sandigen Böden. Daher trifft man sie häufig in Heidelandschaften und lichten Kiefernwäldern an. Die Heidelerche ist in Deutschland vor allem aufgrund des Lebensraumverlustes in die Vorwarnliste der Roten Liste aufgenommen worden.

Die durchgeführten Kompensationsmaßnahmen im Camp Altenrath orientierten sich an den Habitatansprüchen der Heidelerche: Anfangs kam es zu einer großflächigen Entsieglung der Flächen durch den Rückbau von Gebäuden und anderweitig versiegelten Flächen.

Im Anschluss wurde ein Pflege- und Entwicklungsplan erarbeitet. Dieser sieht die Beweidung der Flächen mit robusten Tierrassen vor, welche zur Entstehung von Heideflächen und blütenreichen Heiden beitragen. Hiervon profitiert ebenfalls die Heidenelke. Zudem kam es zur punktuellen Anpflanzung einheimischer Gehölze, um der Heidelerche Ansitzmöglichkeiten zum Singen zu schaffen. Diese bieten unter anderem Lebensraum für Neuntöter und Nachtigall. Infolge generieren die für die Zielart Heidelerche durchgeführten Kompensationsmaßnahmen einen „Mitnahme-Effekt“ für zahlreiche, weitere Arten der Heide.

Fazit

Das Konzept der Ziel- und Schirmarten findet häufig Anwendung in der naturschutzfachlichen und umweltplanerischen Praxis. Jedoch gibt es auch Kritik an dem Ansatz: Vernachlässigt die Konzentration auf Schirm- und Zielarten nicht die Ansprüche weiterer, vorkommender Arten? Und ist ein „Mitnahme-Effekt“ tatsächlich gegeben?

Trotz dieser berechtigten Kritik ermöglicht das Konzept die Konkretisierung von Schutz- und Kompensationsmaßnahmen anhand einzelner Arten und reduziert die Fülle an Arten in einem Gebiet auf ein bearbeitbares und messbares Maß. Infolge lassen sich Maßnahmen und Ziele leichter räumlich und sachlich operationalisieren und die Schirm- und Zielarten können als Bewertungskriterien für die Wirksamkeit von Maßnahmen herangezogen werden.

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